Fasten, ein Schatz im Garten der Kirche vergraben. Die spirituelle Dimension des Fastens.

Siehe da, was das Fasten bewirkt!
Es heilt die Krankheiten,
verscheucht verkehrte Gedanken,
gibt dem Geist größere Klarheit
und führt den Menschen vor den Thron Gottes.
Athanasius (295–373)

Von alters her waren die verschiedenen Wirkungen des Fastens bekannt. Sie liegen in der Veränderung der Beziehung zu sich selbst, zu Gott und zu den Menschen. Anders gesagt, sie liegen im leib-seelisch-geistigen, im spirituellen und im mitmenschlich-sozialen Bereich. Alle drei Bereiche sind aufs Engste miteinander verbunden und bilden ein Ganzes. Wir sprechen daher besser von Dimensionen statt von Bereichen. Im folgenden ist von der spirituellen Dimension des Fasten die Rede.

Im Fasten schaltet der Mensch bekanntlich von der äußeren Ernährung auf die innere um. Dieser psycho-somatische Vorgang hat zur Folge, dass er aus dem Außer-sich-Sein zur Mitte seiner selbst geführt wird und zur Ruhe kommt. Mit anderen Worten: Die Umschaltung erleichtert die Einkehr und Selbstfindung. Bei Fastenkursen mache ich oft die Erfahrung, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sozusagen intuitiv das Schweigen und die Stille suchen. Das Fasten führt in die Stille und lädt ein zur Meditation; die Meditation begünstigt und vertieft ihrerseits das Fasten. Beide zusammen sind für uns eine Hilfe, uns selbst besser zu erkennen.

Die mit dem Fastenvorgang physiologisch mitbegründete Wende nach innen, das Zu-sich-Kommen und Bei-sich-Sein sowie die eigenartige Verfassung in den Stunden der Nacht, die fastende Menschen besinnlich wachend oder schlafend in tiefen wegweisenden Träumen verbringen, vermögen die Offenheit für die Transzendenz zu aktivieren und lassen uns hören und sehen, was wir sonst überhören und übersehen. Mit Angelus Silesius ausgedrückt:

Wer seine Sinne hat
ins Innere gebracht,
der hört, was man nicht red’t,
und siehet in der Nacht.

Einige Zeugnisse der Bibel und der Tradition – sie stehen für viele – belegen diese durch das Fasten begünstigte Hellhörigkeit und Hellsichtigkeit. Der Prophet Daniel erhält nach einem dreiwöchigen Fasten eine Offenbarung, und zwar ausdrücklich als Antwort auf das Fasten, das er stellvertretend für andere auf sich genommen hat (Daniel 10). Von Moses und Elias, den beiden hervorragenden Vertretern des Gesetzes und der Prophetie, ist bekannt, dass ihnen auf ein 14-tägiges Fasten hin auf dem Berg Horeb eine überwältigende Gotteserfahrung zuteil wurde (Deuteronomium 9, bzw. 1 Könige 19).
Die Wüstenväter, wissend, dass das Vielessen die „scharfe Sicht des Herzens“ (Cassian) abstumpft, werden nicht müde, im Interesse einer größeren Klarsicht und Einsicht das Fasten zu propagieren. Laut Philoxenes (5. Jh.) beginnt der vom „Schleier der Herzverfettung“ befreite Mensch zu erkennen, „dass noch etwas anderes existiert als das, was er sieht und greift“.
Es gibt in der Tat noch etwas anderes als das, was wir mit den Augen sehen und mit den Händen fassen können. Anhand einiger Stichworte soll verdeutlicht werden, wie Fasten uns hilft, neben oder besser in der Welt des Sicht- und Greifbaren jene Wirklichkeit zu erfahren, die wir „Gott“ zu nennen pflegen.

Niklaus Brantschen, SJ, Bad Schönbrunn

Schweizer Jesuit, Zen-Meister und erfahrener Fastenleiter, Leiter des Lasalle Hauses Schönbrunn von 1973-1987. Projektleiter und Gründer des Lassalle-Instituts für Zen, Ethik und Leadership in Bad Schönbrunn gemeinsam mit Pia Gyger. Er ist ein gefragter Referent und Autor von zahlreichen Büchern.

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